Mein Leben mit der Facebook-Sucht in 10 Beispielen
Das Schreiben dieses Artikels (-> LINK) über das Erlangen einer Facebook-Sucht in 10 Schritten hat wunderbar funktioniert. Bei mir selbst. Eventuell auch bei einem Teil meiner Leserschaft. Bedanken könnt ihr Euch dafür mit einem Gefällt-Mir oder einem Teilen der Artikel, das stimuliert auch zugleich Euer inneres Belohnungssystem durch das Vollbringen einer guten Tat.
Nun möchte ich daran anknüpfen, indem ich meine völlig ausgewachsene Facebook-Sucht nun auf 10 Beispiele über mein aktuelles Alltagsleben herunterbreche. Jedem Leser, der noch nicht in einem so fortgeschrittenen Stadium ist, kann damit auch weitergeholfen werden. Eventuell aufkommende Schadensersatzforderung bitte direkt an den Mr. Mark Zuckerberg senden.
1. Die Automatik in den Äthergehirnen, welche man von routinierten Autofahrern kennt, die sich an Teile der Strecke nicht erinnern können, aber dennoch gut gefahren sind, ist bei mir längst erweitert um ein automatisches Smartphone herausziehen und den Facebook Newsfeed zu lesen. Sei es im Bus, der Bahn, der Toilette, und neuerdings sogar während des Autofahrens. Die Gehirne bringen meinen Körper schon gut an den gewünschten Zielort, alarmieren mich bei besonderen Anlässen durch Warnimpulse und ich kann in Ruhe über wichtigeres Nachdenken. Und zwar welchen eigenen Senf ich an die erregendsten Postings und Kommentare im Newsfeed klebe.
2. Nachdem mir das Durchstöbern von tausenden von Seiten zu jedem x- und unbeliebigen Thema, dass mich seit meiner Geburt jemals interessiert hat, zu langweilig wurde, begann ich mit dem Anlegen von eigenen Seiten. Nein, ich bin sicher kein Like-Junkie geworden. Mit diesem Ego-Junkies und Geldmacher, die mit minderwertigen Lach- oder Angst-Content Leute zu Gefällt-Mir-Klicks nötigen, mag ich niemals etwas zu tun haben. Der schlimmste Auswuchs sind nicht die Fragen wie „Teile, wenn du Männer magst, Like bei Frauen“, sondern die erschütternde Anzahl an abertausenden Benutzern, die dem noch folgen und da mitmachen. Ein wenig unken darf sein: Und die wertvolle Postings (wie die meinen), die zum Teilen wären, NICHT weitergeben. Bitte die eingebrannten Klick-Reflexe nachjustieren, wenn du dich dabei betroffen fühlst.
Erfreuen darf ich mich aber bei jedem qualitativ besseren Posting über jeden neuen Like. Ein Teilen eines Postings von mir löst dann schon ekstatische innere Reaktionen aus. Das hat zwar mein Sexual-Leben beeinträchtigt, aber dank Facebook habe ich dafür sowieso keine Zeit mehr. Die meisten, Viele Einige Frauen mögen es außerdem nicht, geliebt zu werden, während man auf Facebook werkt.
3. Anstelle von google oder gar einer anderen, mir gerade entfallenen Suchmaschine, schau ich längst zuerst nach, ob es nicht schon eine Fan-Seite oder Facebook-Gruppe zu diesem Thema gibt. Die ich nach kurzem Überblick ob und wie oft sie aktualisiert wird, zuerst mal like, um so immer wieder durch deren neue Posts in meinem Newsfeed erinnert zu werden, dass dieses Thema mal einige Sekunden meiner Aufmerksamkeit hatte.
4. Dass meine Aufmerksamkeitsspanne runter ging auf wenige Sekunden ist eigentlich vorteilhaft. Denn so kann ich mich viel mehr auf viele verschiedene Themen einlassen und fühle mich viel globalisierter, nein, universeller aufgestellt in meinem Denken. Außerdem macht das Gedankenspringen ja Spaß und bietet Abwechslung und ein totales Ende der Langeweile. Meinen notwendigen Tätigkeiten nachgehen kann ich weiterhin. Die einzelnen Aufgaben werden eben zerstückelt in viele Einzelschritte und Facebook hilft mir bei der Organisation. Wie? Indem ich die dringendsten ToDos in Postings verpacke, und bei jedem Kommentar oder Like werde ich wieder daran erinnert und kann somit ohne meine Gehirnzellen zu bemühen weitermachen. Wird es aber nicht kommentiert oder immer wieder neu geliked, so kann der Task gar nicht so wichtig gewesen sein.
5. „Gefällt mir nicht“ gibt es zwar immer noch nicht auf Facebook und wird es nicht geben. Mit der Zeit kam ich aber dahinter, wie ich dieses Bestrafungs-Gefühl für schlechte Postings dennoch auf die Verursacher übertragen kann -> Ich entziehe ihnen einfach das „Gefällt mir“ wieder. Das bereinigt meinen Newsfeed und zugleich betreibt es gute Psychohygiene in mir. Das gleiche gilt für FB-Freundschaften, wobei ich da subtiler vorgehen kann: Ich entziehe ihm einfach das Abo, und schon verschwindet derjenige unauffällig völlig aus meinem Denken und Leben. Nur bei einem Vergleich mit einem Goldfisch (Stichwort: Aufmerksamkeitsspanne) reagiere ich wirklich böse. Da kann die Freundschaft schon beendet werden, und ich in einem Übermaß der Gefühle auch schon mal eine Warnung vor wahlweise Pädophilie / Nekromantie / Antisemitismus / Virtuelle Gewalt an Facebook über den betreffende Ex-(FB-)Freund senden.
6. Mein Terminkalender wurde rationalisiert. Wozu brauch ich noch einen anderen, vielleicht gar aus einem toten Baum geformten, wenn ich die meisten Termine auf Facebook bereits im Veranstaltungskalender finde und dieser doch auf Smartphone, Tablets und PCs automatisch derselbe ist? Gibt es überhaupt noch Menschen, die Geburtstagsfeiern, Firmenfeiern, Hochzeiten, Begräbnisse oder Dinner-Abende nicht sofort als (meistens private) Veranstaltung auf Facebook anlegen? Keiner von denjenigen, die für mich interessant sind, um hinzugehen, macht das. Meines sicherlich völlig ausreichenden Wissens- und Erfahrungsstandes nach.
7. Die Gespräche über Facebook-Posts in der realen Welt haben sich nach einer dramatischen Erhöhung in den Anfangsjahren von Facebook wieder erfreulicherweise reduziert. In ist, wer mein Profil auch liest, denken wohl die meisten Facebook-Benutzer. Was einmal gepostet wurde, braucht nicht mehr besprochen werden. Jeder sammelt für sich dank „Like“-Button oder bei interessanteren Dingen durch das Teilen seiner persönlichen Neverending-Story in der eigenen Chronik. Jeglicher Austausch ist dank der Mehrfach-Erinnerungs-Funktion in den Benachrichtigungen aus der eigenen Chronik heraus, wenn geliket oder geteilt wird von anderen Personen, obsolet geworden.
8. Da alles, dass aktuell und da ist, bereits gepostet oder in irgendeinem Newsfeed eines Freundes oder eines Freundes von einem Freund + den Gefällt-Mir von einem Freund aufgetaucht ist, haben die meisten Gehirne der Facebook-Benutzer nun eine Auto-Filter Funktion. Sofort weiß man bei neuen Inhalten, egal welcher Art, ob man diese schon auf Facebook gesehen hat bei Freunden. Wenn nicht, so wird mit der Automatik gleich Weitergeteilt / Geliked. Wenn schon, wird es sofort auf Alt, Abgelaufen und Kenn-Ich-Schon gesetzt im eigenen Gedächtnis. Welches übrigens bei 76,3 % der Facebook-Benutzer, vor allem seit der Chronik-Einführung, mehr und mehr Aktivitäten einstellt.
9. Datenschutz, in vielen Medien ein Thema, interessiert die meisten Benutzer, nämlich mich, gar nicht. Wir posten und teilen nur das, was die Welt auch wissen kann und soll. Ein Psychogram zu erstellen wird auch für alle Geheimdienst-Experten mit möglicherweise im Geheimen gehaltenen Superduper-Quanten-Computern wahrlich schwierig. Denn sie sehen zwar Vorlieben, Interessen und Hobbies, aber so viel zu viel, dass sich daraus gar nichts mehr ablesen lassen kann. Die Masse macht die genaue Auswertung unmöglich, und das, was für einen Psychologen wirklich interessant wäre, wird sowieso nicht auf Facebook mitgeteilt. Nur mehr Kinder vertun sich da manchmal, und bekommen von älteren Freunden sofort eine auf den Deckel. Das einzige, was vielleicht noch interessant sein könnte, wäre, wenn ein Geheimdienst mal meine wieder gelöschten Postings analysieren könnte. Ja, auf Facebook kann man jegliche Beiträge wieder endgültig löschen, nicht nur verstecken. Eine Funktion, die sich noch nicht allen Benutzern erschlossen hat.
10. Emotionale und damit eigentlich jedes Mal unpassende Postings verringern sich im Laufe der Facebook Sucht. Nicht nur wegen den erhofften, aber ausbleibenden Reaktionen der Freunde, sondern die Emotionen selbst nivellieren sich aufgrund der Übermenge an Informationen, die man in immer kürzeren Impulsen aufnimmt, verarbeitet und weitergibt. Man stumpft als aktiver Netzwerkknoten mit der Zeit ab. „Wayne interessiert’s“ ist ein Gemütszustand, keine Fragestellung. Es ist zwar ein schleichender Prozess, vor allem im Vergleich zu längeren Aufenthalten in Foren wie 4chan oder bei exzessivem Pornokonsum der sonderbaren Art. Aber dafür gründlicher und nachhaltiger. Denn es betrifft bei Facebook alle Lebensbereiche.
Mein Leben „gefällt mir“ weiterhin. Dieser Satz brachte mich instinktiv und fast vollautomatisch dazu, gleich noch eine Facebook Seite anzulegen. „Das Leben“ https://www.facebook.com/lebenunddiewirklichkeit. Nur die Suche nach einem freien und von Facebook genehmigten Kurz-Link (Leben, Das Leben usw.) gestaltete sich schwieriger als erwartet. Die Rechte am Leben hat sich Facebook wohl bereits beim (US)Patentamt gesichert. Und wegen der Aufmerksamkeit von mehreren Milliarden Menschen (Die Benutzer und diejenigen, die auf die Benutzer schielen) auch zugesprochen bekommen. Deswegen diese längere, und schließlich doch von Facebook auch akzeptierte URL.
Auch wenn ich durch das Schreiben dieses Artikels Seiten an mir kennengelernt habe, die ich bisher ignoriert und einfach gelebt habe, und die möglicherweise für andere Augen seltsam erscheinen mögen, werde ich meiner Sucht weiter fröhnen und sie ausbauen.
Ich ahne aber schon, dasss ich irgendwann den 3. Teil dieser Serie schreiben werde. Folgerichtig wird der Titel „In 10 Schritten von Facebook weg in ein neues Leben“ heissen. Versprochen. Bis dahin weißt du, wo du mich, aber wohl nicht meine Aufmerksamkeit, finden kannst.
Sozialverwirrte Grüße,
Krischan
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